Das Pfarramt

Das Pfarramt lebt von einem unüberbrückbaren Widerspruch.

Zum einen ist es ein Amt. Die erste ausgearbeitete Pastoraltheologie hat der Kirchenvater Ambrosius (339-397) geschrieben. Im Wesentlichen widerholt er, was der römische Jurist und Staatsmann Cicero (106-43 vor Christus) über die Rechte und Pflichten eines guten Beamten schreibt. Auch das Pfarramt dient der Erhaltung, Pflege und sorgfältigen Weiterentwicklung der bestehenden sozialen und politischen Verhältnisse. Es ist, mit den Worten des Apostels gesagt, eine Ordnungsmacht, die von allen Ehrerbietung und Steuergelder einfordern darf (Römer 13,1-7).

Gleichzeitig dient dieses Amt dem Machtanspruch des Gekreuzigten. Es ist inhaltlich bestimmt von dem revolutionären Versprechen Jesu: „Letzte werden Erste, und Erste werden Letzte sein“ (Matthäus 19,30 und 20,16). Was im Namen Christi gepredigt, gelehrt und mahnend und warnend und tröstend und versöhnend den Menschen zugesagt wird, stellt alle Ordnungen dieser Welt radikal in Frage. Jesus hat den Unterschied zwischen kleiner und grosser Schuld verwischt, hat sich mit moralisch verwerflichen Menschen gemein gemacht und die Autoritäten seines Volkes provoziert und blossgestellt. So lässt sich kein Staat machen. Dieser Anspruch entzieht auch dem Pfarramt als Amt sein innerstes Recht. Keine pfarramtliche Tätigkeit bringt die Frucht, die sie bringen soll, solange sie nicht im Innersten etwas anderem dient als dem Bestand der eigenen Macht.

Die eigenartige Verbindung von einer ehrwürdigen Amtsgewalt und einer Berufung in eine revolutionäre Bewegung verdankt sich der Tatsache, dass die Apostel die Botschaft vom Gekreuzigten in das römische Weltreich getragen und in ihm die Glaubensgemeinschaften stablisiert haben mit der Ernennung von Amtsträgern, deren herausgehobene Stellung sie mit Titeln aus den hellenistisch-römischen Rechtsordnungen kenntlich machten (Presbyter, Bischof), und die Gläubigen ermahnten, diese Träger einer besonderen Verantwortung in Ehren zu halten (exemplarisch 1.Thessalonicher 5,12). Für die Gläubigen in anderen Kulturkreisen macht das Neue Testament keine derartige institutionelle Fürsorge sichtbar (anschaulich Apostelgeschichte 8,39 und 16,7).

Überall, wo diese Verbindung von revolutionärer Verkündigung und amtlicher Fürsorge die Lebensgewohnheiten formten, gerieten die Gläubigen – in je wieder anderen Formen – in die Versuchung, die Botschaft Jesu den bestehenden Machtinteressen zu unterwerfen oder mit dem Versprechen einer besseren Ordnung die Gläubigen zu illusionären Erwartungen und Aktivitäten zu verführen.

Auch der momentan sichtbare, unumkehrbare Zerfall des Pfarramtes in den westlichen Ländern hat seine tiefsten Ursachen in dem Widerspruch, der vom Anspruch dieses Amtes gegeben ist und sich deshalb weder gedanklich noch ordnungspolitisch auflösen lässt. Von daher gesehen ist zu erwarten, dass die Botschaft Jesu in der westichen Kultur nur wieder eine soziale Trag- und Prägekraft entfalten wird, wenn Menschen im Vertrauen auf den Ruf Jesu bereit sind, diesen Widerspruch in ihrer Person und in ihrer alltäglichen Praxis auszuhalten.

Ob das geschehen wird, ob das Pfarramt in neuen Formen noch wieder dem Fortgang des Evangeliums dienen kann und soll, ist eine Frage, die kein Mensch, sondern nur Christus selber beantworten kann. Er überblickt, ob und wo und wie sein Werk von Menschen geachtet, geliebt und vertrauensvoll gepflegt wird, und sein Vater im Himmel wird dementsprechend den Geist senden oder zurückhalten und so an die Worte Jesu erinnern (Johannes 14,26) und neue Glaubens-, Lebens- und Liebeskraft schenken oder nicht. Es wäre anmassend, sich eigenmächtig ein Urteil zu bilden, ob und allenfalls in welchen Formen der Heilige Geist die amtlich verfassten Kirchen noch wieder zu Mitteln seines Wirkens machen will.

Wer in eine Aufgabe tritt, die sich aus den sozialen Restbeständen des Pfarramtes ergibt, kann deshalb nichts Besseres tun als Tag für Tag, Schritt um Schritt die Möglichkeiten nutzen, die sich in diesen Tätigkeitfeldern für die Weitergabe der Worte Jesu ergeben. Diese Möglichkeiten gilt es zu nutzen, so wie das die heiligen Schriften vorzeichnen, auf die Jesus seine Jünger je wieder verwiesen hat: Hoffnungsvoll, geduldig, fröhlich, streitbar, demütig, umsichtig – im blinden Vertrauen darauf, dass das Wort Gottes niemals leer zurückkommt (Jesaja 55,10.11).

Die auf dieser Homepage zusammengestellten Erkenntnisse möchten Hilfestellungen bieten für ein solches betont bescheidenes Verständnis dessen, was heute in den pfarramtlichen Tätigkeiten möglich und gefordert ist.

Veröffentlicht unter Allgemein | Hinterlasse einen Kommentar